der zutrauliche Turmfalke

Die Geschichte eines Turmfalken aus der Wildnis, der sich aber verhielt, als wäre er zahm

              

Ich bekam einen Anruf. Von der Tierklinik in Biel-Benken. Sie sind in der gleichen Gewerbezone untergebracht wie die Firma, in der ich arbeite. Und natürlich sind sie froh, eine Ansprechperson für Vögel zu haben.

Nun, sie hatten einen Falken erhalten. Nun ja. Ein Turmfalke. Meine Freude war gross, sind doch die Turmfalken seit langer Zeit meine Krafttiere und auch meinen indianischen Namen "Falkenauge" (bei manchen auch "kleiner Falke") hatte ich nicht von ungefähr erhalten. Also, ein Turmfalke, etwas ganz Tolles für mich! :-)

Es war ein adulter Terzel. Also, ein ausgewachsenes Männchen. Ich untersuchte ihn, fand aber keine Verletzungen, er wirkte nur etwas benommen, der Blick war aber klar. Da er neben der Strasse gefunden wurde, ging ich von einer Kollision mit einem Auto aus. Da ich einen strengen Terminplan hatte, beschloss ich, ihn zu mir nach Hause in die grosse Voliere zu nehmen, auf Möhlin (damals war ich noch Leiterin der Storchen- und Pflegestation Möhlin) schaffte ich es nun definitiv nicht. Dort angekommen setzte ich ihn ab und legte ihm eine Maus in den Käfig.

Stunden später, als ich wieder zu Hause war, lag die Maus noch dort, der Vogel sass am Boden.

Am nächsten Morgen immer noch alles beim alten. Ich fuhr zur Arbeit, abends zu Hause, alles noch gleich. Hallo? War dieser Vogel ausgestopft? Sollte ich den zwangsfüttern? Telefon an den befreundeten Falkner, mit dem ich immer wieder Kontakt habe und er mir auch die ganze Falknerei näher gebracht hatte: ja, mach eine Zwangsfütterung. Gut, ich eine Maus geholt, in Stücke geschnitten (eine der unangenehmen Seiten dieser Arbeit...) und dem Falken hingehalten. Nichts...  Ich nahm ein Stück Maus (irgendwas zwischen Bauch und Hüfte) zwischen die Finger und hielt es dem Falken hin----schnapp, war es weg. Ok! So verfütterte ich die ganze Maus.

Am nächsten Morgen, der Falke sass inzwischen auf dem untersten Ast, das selbe Spiel wieder.

Abends stelle ich ihm die Schüssel mit den Stücken hin, frass er. Ok, ein Fortschritt. Immerhin, Stücke werden nun alleine gefressen. Was heisst, ich darf weiterhin Mäuse zerschneiden. Danke! :-) Nun gut, man gewöhnt sich an alles und inzwischen war mir das Innenleben der Mäuse recht vertraut. Ich würde fast sagen, ich war schon "per Du" mit Mauselebern und anderen glibbrigen Organen. 

Das Spielchen dauerte die nächsten Tage. Der Falke wurde immer munterer und eines Tages bei der Fütterung, schoss er urplötzlich aus dem Käfig---und sass mir auf dem Schoss! Nun ja, wenns denn bequem ist. Er frass genüsslich seine Mausestückchen zu Ende (die Reste klebten an meinem T-Shirt)  und flatterte dann auf einen Ast im Zimmer. Gut, Du willst das ganze Zimmer? Kannst Du haben. Zeitungen wurden geholt, alles abgedichtet.

Abends kam ich nach Hause, der Falke sass auf seinem Ast. Kaum erblickte er mich, begann er zu "nicken" und ehe ich mich versah, flog er an und landete auf meinem Käppi. Für die Leute, welche mir immer noch nicht glauben, dass es sehr sinnvoll ist, im Umgang mit Greifvögeln eine Kopfbedeckung zu haben... Wenn mal ein Uhu 10 cm über Euren Kopf flog und seine Krallen Eure Haare berührten, dann wisst Ihr, was ich meine! Oder eben, wenn plötzlich ein Turmfalke meint, er müsse auf dem Kopf landen... 

Sass mir also auf dem Hut und erwartete sein Futter. Toll, die Arme verrenken wollte ich mir auch nicht, als nahm ich ihn auf den Handschuh. Alles easy, liess er sich ohne weiteres gefallen und dann frass er von dort in einer Seelenruhe seine Maus. Das ganze spielte wir tagelang ab. Ich kam ins Zimmer, er kam auf den Handschuh geflogen und frass sein Futter. Aber es war definitiv ein wilder Falke! Und ich hatte eigentlich nicht die Idee, ihn abzutragen und zu behalten. Er bot das von sich aus an! Ich glaube, mancher Falkner wäre neidisch geworden. 

Nach vielen Tagen fand ich, er solle nun selbst eine Maus rupfen. Wollte er aber nicht, er rührte sie nicht an. Erst als ich sie wieder aufschnitt, begann er, Stücke herauszureissen. Auch das wiederholten wir einige Tage, bis er dann doch endlich seine erste ganze Maus alleine frass. Hurra, ich musste keine Mäuse mehr zerschneiden.

Nun war die Zeit gekommen, den zahmen Freund auszuwildern. Da er aus der Gegend stammte, wo ich arbeite und auch immer mit den Hunden die Mittagspause verbringe, wolle ich ihn, zur Wiedererkennung, markiert haben. Also erhielt er einen blauen Plastikring. Eines schönen Tages packte ich ihn, setzte ihn in die Katzenkiste und ab gings. Am Ort des Auswilderns wollte er nicht aus dem Kistchen. Erst als ich ihm den Arm hinhielt, kletterte er drauf, besah sich in aller Ruhe die Landschaft. Dann endlich flog er los, wie ein Pfeil. Er kreiste, schraubte sich hoch und verschwand dann....

Ich habe den Kerl nie mehr gesehen. Alles Gute, kleiner Freund und danke für alles! Es war eine wundervolle Zeit mit Dir!